She Moves Paratriathlon

Welterklärer, Wattschweine und mein unbedingter Wille

Lesezeit: 6 Minuten

Der Traum von Kona – auch ich träume ihn. Noch nicht lange, dafür aber schon ziemlich konkret. Und in diesem Jahr möchte ich damit anfangen, ihn zu verwirklichen. Etappe eins auf dem Weg zum IRONMAN bzw. zur IRONWOMEN sozusagen. Meine erste Mitteldistanz steht auf dem Programm, und im Oktober dann werde ich zwei Wochen lang hawaiianische Luft schnuppern. Ich werde mir die klimatischen Bedingungen und die Wettkampfstrecken anschauen, um mich für 2021 optimal darauf vorbereiten zu können. Ich möchte netzwerken und mich vielleicht einer Gruppe anschließen. Die Verhandlungen laufen!

Noch kann ich es mir nur schwer vorstellen, meinen Körper auf so unfassbare Weise bis an oder sogar über seine Grenzen zu bringen. 226 Kilometer reine Armarbeit – geht das? Und wenn ja, wie? Dass ich überhaupt an diesem Punkt bin, meine erste Langdistanz zu planen, wirkt so unglaublich. Aber eigentlich ist es die logische nächste Station auf meiner Reise.

Foto: Jan Siewert

Welche ist die beste Strategie?

Nach meiner Schwimmkarriere und großartigen Erfolgen im Radsport, wollte ich mir im Triathlon einmal mehr selbst beweisen, dass ich Dinge anpacken und durchziehen kann – komme, was da wolle! Über zahlreiche Kanäle hatte ich mein Wissen über den Triathlon selektiv erweitert. Dabei hatte ich natürlich mit den üblichen Verdächtigen zu tun – ich nenne sie liebevoll Welterklärer. Die, die glauben, ihre Sichtweise auf die Menschen und die Welt müsse auch meine sein. Die Kunst ist es, meiner Meinung nach, mir trotz der vielen sicherlich gutgemeinten Hinweise und Tipps, ein eigenes Bild der Dinge zu verschaffen. Ich will den für mich richtigen Weg gehen. Das mag dem einen oder anderen ein Dorn im Auge sein, doch sollte ich es nicht in erster Linie mir selbst recht machen? Schließlich müssen Trainingsmethoden und Wettkampfstrategien für mich und meinen Körper funktionieren.

Meine Erfolge geben mir Recht. Schon im ersten Jahr rieselte es Podestplätze. Nach einigen Weltcup-Erfolgen landete ich überraschend auf dem dritten Platz bei der Weltmeisterschaft in Lausanne und wurde Europameisterin in Valencia. Zurück in der Heimat wollte ich mehr! Der Plan stand fest. An den Paralympics in Tokio und damit meinen fünften Spielen in der dritten Sportart, führt kein Weg vorbei. Doch was mich im vergangenen Jahr mehr und mehr faszinierte, war die Welt der Langdistanz. Und weil es mir schon immer schwer fiel, mir kleine Ziele zu setzen, wurde schnell klar, dass ich im nachparalympischen Jahr 2021 das "Projekt Kona" ins Auge fassen würde. Nach meiner ersten Saison im Triathlon und vielen Erfahrungen – positive sowie lehrreiche – wusste ich schließlich, wo meine Stärken und Potenziale liegen. Die Herausforderung anzugehen, den Körper derart an seine Grenzen und darüber hinaus zu bringen, lässt mein Herz höher schlagen. Außerdem fühle ich mich in der Community sehr gut aufgehoben. Der Plan würde wie folgt aussehen: Die Quali im Juni 2021 beim 70.3 Ironman in Luxemburg zu holen, um im Oktober 2021 in Kona an den Start zu gehen. Doch in den vergangenen Wochen kam ich etwas ins Grübeln…

Große Ziele! Zu groß?

Durch den damaligen Cheftrainer der Paratriathlon Nationalmannschaft Mario Schmidt-Wendling hatte ich bereits 2018 Kontakte zu den Ex-Langdistanz-Profis Lothar und Nicole Leder geknüpft. Vielleicht waren es die Gespräche mit Nicole, die mich ein Jahr später sehr zum Nachdenken brachten und dazu animierten, meinen Plan zu überdenken.

Warum nicht bereits in diesem Jahr (2020) die ersten Erfahrungen auf der Mitteldistanz sammeln, um im kommenden Jahr ganz anders vorbereitet zu sein? Würde die Belastung des Trainings für die Paralympics plus einer Mitteldistanz zu groß sein? Wie würden es die Verantwortlichen im Verband aufnehmen? Könnte die Aktion zu Problemen führen? Fragen über Fragen, mit denen ich mir einige Nächte um die Ohren schlug.

Auf der anderen Seite kam die Frage auf, ob ich mich zu rechtfertigen habe? Möchte ich andere Menschen oder Institutionen über mein Leben oder meine Ziele bestimmen lassen? Bereits Ende 2017 hatte ich vor einer ähnlichen Entscheidung gestanden. Nach meinem Doppel-Erfolg bei der Radsport-WM stand die Vertragsverlängerung bei meinem damaligen Bike Sponsor an. Dort wurde mir ganz klar signalisiert, dass Top-Leistungen nicht ausreichen. Ich stand wortwörtlich vor der Entscheidung, mich anzupassen und einzureihen oder meinen eigenen Weg zu gehen und damit natürlich auch ein Risiko einzugehen. Damals entschied ich mich für Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Diesen Entschluss habe ich bis heute nicht bereut. Ich lebe doch nur einmal, und wer weiß, was im nächsten Jahr sein wird!? Niemand kann sagen, wie die Zukunft aussieht, und genau deswegen entscheide ich mich jetzt ganz bewusst dafür, meine Träume anzupacken und umzusetzen.

Die einzig entscheidende Meinung für mich ist die meines Coaches Ralf Lindschulten. Er betreut bereits seit vielen Jahren Langdistanz-Athleten. Seit sieben Jahren begleitet er auch mich auf meinen Wegen und holt immer das Beste aus meinem Körper heraus. Er führte mich ein in die Welt der Wattschweine und leerte mich damit umzugehen. Mit ihm wurde ich Paralympicssiegerin und viermalige Weltmeisterin mit dem Handbike. Wenn er sagt, dass etwas möglich ist, dann ist es das! Und er gab mir sein go! Also los! Worauf warten? Die Türen der Welt stehen offen – ich muss nur noch hindurchgehen! Über einige Umwege bekam ich einen Startplatz beim Ironman 70.3 in Luxemburg und war damit knapp 350 Euro leichter – ich konnte es mir nicht verkneifen, ein Häkchen beim Event-Rucksack zu machen! Los geht’s!

Über mich hinauswachsen

Ein spannendes Jahr mit neuen Herausforderungen wartet auf mich! Inzwischen habe ich den dritten Monat auf meiner absoluten Lieblingsinsel Lanzarote abgeschlossen. Ich frage mich, ob ich mich gut um meinen Körper gekümmert habe und ob ich die Trainingsleistungen nun in den Wettkämpfen umsetzen kann. Mit welchen Erwartungen starte ich in die neue Saison? Mir ist durchaus bewusst, dass ich jetzt sehr behutsam und überlegt mit meinen Ressourcen umgehen muss. Außerdem stehen zahlreiche Tests an, was mein Körper auf langen Strecken braucht und vor allem verträgt. Wer wird dabei sein? Wo bekomme ich meine Wasserflaschen während des Rennens unter? Für den einen oder anderen vielleicht banale Dinge, die in meinem Fall sehr entscheidend sein können. Da ich die gesamten 113 Kilometer der Mitteldistanz mit den Armen abspule und nicht alle Nase lang die Arme nach Wasser ausstrecken kann, muss ich ganz anders denken. Aber, ich kann es kaum erwarten loszulegen und anzugreifen!

Ich möchte in den kommenden Jahren über mich hinauswachsen und den Welterklärern zeigen, was für mich richtig ist.


Profi-Triathletin
Live your dream - no limits! Das ist das Motto von Paratriathletin Christiane Reppe. Christiane ist eine echte Powerfrau und gehört zu den erfolgreichsten deutschen Spitzensportlerinnen. Wer Christiane kennenlernt, der merkt schnell: Trübsal blasen passt so gar nicht zu diesem gut gelaunten Energiebündel, deren Bewegungsdrang schier keine Grenzen zu kennen scheint. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sie bereits heute, im Alter von 31 Jahren, auf eine steile Karriere zurückblicken kann. Zusammen mit ihren Kollegen der deutschen Paratriathlon-Mannschaft bereitet sie sich aktuell auf die Teilnahme bei den Paralympics in Tokyo 2020 vor. Bei TIME2TRI berichtet sie von ihrer Reise.

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