Die Herzvariabilitätsmessung, als ein Instrument meiner Trainingssteuerung, ist inzwischen ein fester Bestandteil meines Alltags geworden. Ja, man könnte es fast schon als Ritual bezeichnen. Aber das war nicht immer so.
Als mein Trainer, Utz Brenner, vor ca. 4-5 Jahren zum ersten Mal von dieser Herzvariabilität und einer möglichen Methode der Messung erzählte, war ich noch nicht ganz überzeugt. Neben Wattzahlen, Laufeffizienzwerten und co noch mehr Schaubilder und Zahlen - noch mehr „Kontrolle“? Gleichzeitig war ich aber auch neugierig auf dieses neue Instrument der Steuerung und die Möglichkeit, meinen Körper und mich noch besser kennenzulernen. Ich ließ mich also darauf ein.
Ich war zuerst skeptisch, neben Wattzahlen, Laufeffizienzwerten und Co noch mehr Schaubilder und Zahlen - noch mehr „Kontrolle“?
Die HRV-Morgenmessungen
Eine verlässliche HRV-Analyse benötigt zweifelsohne einiges an Disziplin und sollte mit einem sinnvollen Tool erfolgen. Wir nutzen dazu die HRV-Software Spikee.
Die Messung erfolgt ganz einfach über einen Pulsgurt und eine Sportuhr (,die die gespeicherte Datei dann automatisch an die Software übermittelt), allerdings erfordert die Morgenmessung auch etwas Zeit. Für den Einen mögen 5-8 Minuten weniger Schlaf nicht tragisch sein, für den Anderen allerdings schon. Bei mir dauert eine durchschnittliche Messung ca. acht Minuten.
Es heißt, man soll bei der Morgenmessung an möglichst „nichts denken“, entspannt sein – ja, sich möglichst noch im Halbschlaf befinden. Das funktioniert natürlich nicht immer so leicht, wie sich das nun anhört. Ein „Halbschlaf“ setzt voraus, auch immer am Abend daran zu denken, sich Pulsgurt und Uhr bereitzulegen. So passiert es ab und an, dass man morgens im Halbschlaf auf der Suche nach besagten Utensilien durch die Wohnung stolpert und wenn man sie schließlich gefunden hat, hellwach mit Puls 180 wieder im Bett liegt. Auch sehr sinnvoll ist es, einen zweiten Wecker zu stellen, sodass aus den acht Minuten keine Stunde wird. Für mich persönlich ist es zudem nicht immer einfach, an „nichts“ zu denken und nach dem Klingeln des Weckers wieder in einen entspannten Zustand zu fallen - gerade, wenn ein „voller“ Tag ansteht und ich gedanklich schon meine Termine organisiere.
Natürlich gibt es auch solche Tage, bei denen ich auch ohne Morgenmessung weiß, dass ich bis Oberkante Unterlippe voll mit Stresshormonen bin (z.B. vor Prüfungssituationen oder auch am Wettkampfmorgen). An solchen Tagen messe ich meistens schon nicht mehr.
Analyse der Daten
Die aufgezeichneten Morgenmessungen werden in Spikee nicht nur tagesaktuell auf einer X- und Y-Achse farblich gekennzeichnet in meinen Leistungs- und Erholungszustand angezeigt, sondern auch dessen langfristigen Trend (mit Auf und Abs) in einer Zeitachse.
Die tagesaktuellen Daten nutzen wir vor allem, um das unmittelbar erfolgte Training und dessen Reiz(e) auf mich zu analysieren, aber auch das geplante Training auf den Tag genau anzupassen. Hier spielen nicht nur körperliche Reize eine Rolle, sondern entscheidend sind auch psychische Belastungen (z.B. Stress), die die Erholungs- und Leistungsfähigkeit mindern können. Um die aufgezeichneten Daten an dieser Stelle richtig zu deuten, ist der Dialog zwischen mir und meinem Trainer Utz Brenner unbedingt notwendig. Er interpretiert die „Zahlen“ mithilfe meiner Aufzeichnungen und meiner Aussagen über mein Körpergefühl oder anderen Gedanken.
So kann es sein, dass mich beispielsweise eine Trainingseinheit doch mehr belastet hat, als gedacht oder ich zusätzlich durch Stress in der Schule beansprucht bin. Um die Qualität bestimmter Einheiten dann zu gewährleisten, kann es passieren, dass wir das Training anpassen oder umstellen.
Sehr spannend ist auch die Langzeitentwicklung im Verlauf zu beobachten. Um hier einen verlässlichen Leistungstrend zu gewinnen und auch vorausschauende Tendenzen zu erhalten, ist natürlich eine kontinuierliche, (fast) tägliche Messung notwendig. Bei uns Frauen zeichnet sich beispielsweise der Zyklus in diesem Langzeitverlauf sehr gut ab und man kann ihn nutzen, um dementsprechend zu planen und zu trainieren. Aber auch eine mögliche Wettkampfplanung kann so erfolgen.
Mein Fazit
Natürlich ersetzt dieses oder auch jedes andere HRV-Tool nicht das eigene, gute Körpergefühl. Wenn man allerdings lernt, die aufgezeichneten Daten zu interpretieren und zu deuten (Warum bin ich heute evtl. trotzdem ich es sein müsste, nicht leistungsfähig? Warum zeichnen sich zu bestimmten Zeiten Peaks im Verlauf ab, usw.), kann es eine Chance sein, sich und seinen Körper noch besser kennenzulernen. Dies benötigt allerdings Zeit und Geduld.
Wenn man lernt, die Daten zu interpretieren und deuten, können HRV-Morgenmessungen eine Chance sein, sich und seinen Körper besser kennenzulernen.
Für mich persönlich ist die Morgenmessung eine Art Ritual geworden, das einen auch nochmal durchatmen lässt, bevor man in den Tag startet. Und sicherlich ist es von Vorteil, wenn der Partner neben einem im Bett, die gleiche Routine pflegt☺
Fotos: Simon Hofmann und Marcel Hilger