September 2014. München. Mein erster Marathon. Ich laufe ihn entgegen der Vernunft - eine Knöchelverletzung ist noch nicht zu 100% verheilt aber: ich habe so lange trainiert, die Sonne scheint und schenkt mir das schönste Kaiserwetter, noch dazu sind so viele Freunde und Kollegen gekommen, um mich anzufeuern. Ich laufe einfach los und will schauen, wie weit ich komme.
So viel sei gesagt: auch wenn ich am Ende ins Ziel laufe - das werden an diesem Tag lange 42,195 Kilometer. Sehr lange. Bereits ab Kilometer 5 merke ich meinen Knöchel, meine Supporter rufen mir schon im Englischen Garten wenig motivierend aber den Nagel auf den Kopf treffend zu: "oh shit, wie siehst du denn aus?". An jeder Verpflegungsstation bleibe ich stehen, kühle meinen Knöchel mit Eiswürfeln und Wasser, erhalte aufmunternde und anfeuernde Worte von den Helfern am Verpflegungsstand. Als ich den Marienplatz überquere ruft eine Frau ihren Kindern zu: "Kommt, feuert nochmal an, die hier hinten brauchen es am Meisten!"
Die hier hinten? Frechheit! :-)
Aber irgendwie hat sie ja Recht. Die Zuschauermenge nimmt Kilometer für Kilometer merklich ab. Als ich schlussendlich - passenderweise begleitet von Helene Fischers "atemlos" - ins Olympiastadion einlaufe, bin ich mir sicher: dieses Rennen hätte ich nicht beendet, wären mir nicht immer wieder so viele, liebe Menschen auf den 42,195 Kilometern begegnet, die mir einen Wasserbecher in die Hand gedrückt, Bananen und Eiswürfel gereicht oder auch nur ein paar anfeuernde oder aufmunternde Worte entgegen gerufen haben.
Bis dahin muss ich gestehen, habe ich die vielen Helfer oft nicht bewusst wahrgenommen, wenn ich bei einem Rennen gestartet bin. Sie waren halt einfach da und gehörten dazu. Seit diesem Erlebnis in München habe ich den größten Respekt vor allen, die schon Tage vor dem Rennen ehrenamtlich im Einsatz sind und das Rennen vorbereiten und am Renntag selbst vom ersten bis zum letzten Athleten am Streckenrand stehen, sie verpflegen, anfeuern und ein Stückchen weiter in Richtung Ziellinie pushen. Sie sind für mich zum Herz einer Veranstaltung geworden und wo immer es möglich ist, bin ich mittlerweile selbst als Helfer bei Veranstaltungen aktiv.
Der andere Blick
Egal, ob bei einem großen Rennen oder einem Feld- Wald- und Wiesen-Wettkampf: für mich hat es jeder Starter verdient, adäquat von Helfern betreut, supportet und versorgt zu werden. Und für mich sollte es zu einer Saisonplanung auch gehören, nicht nur die Rennen, bei denen man selbst an der Startlinie steht, einzuplanen - sondern sich auch mindestens ein Rennen herauszusuchen, bei dem man selbst dem Sport etwas zurückgibt.
Mir persönlich helfen diese Einsätze dabei, einen anderen Blick auf ein Rennen zu bekommen. Einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Und sie machen mich oftmals auch ganz schön demütig.
"diese Einsätze helfen dabei, einen anderen Blick auf ein Rennen zu bekommen."
Natürlich ist es spannend, das Rennen hautnah und mittendrin zu erleben. Den Stars der Szene die Verpflegung zu reichen (...oder sich ganz schnell unsichtbar zu machen, wenn man mit dem ISO-Becher zu nah am Wasser-Stand gestanden hat und Patrick Lange sich voller freudiger Erwartung dein klebriges ISO anstelle des erwarteten Wassers ins Gesicht schüttet - aber das ist eine andere Geschichte... :-) ) und sie bei einem erfolgreichen Verlauf ihres Rennens zu unterstützen.
Wirklich Spaß macht es aber vor allen Dingen dann, wenn die AK-Athleten auf die Strecke stürmen. Damit meine ich nicht die zeitgesteuerten AK-Athleten, die einen an der Verpflegungsstation unfreundlich anraunzen, wenn sie den Trinkbecher falsch zu Greifen bekommen und eine Millisekunde ihre Zeit verloren haben. Oder diejenigen, die eine entgegengestreckte Banane mit einem genervten "weg da!" quittieren.
Ich meine diejenigen, die sich auf die Abwechslung durch die Helferstände ehrlich und aufrichtig freuen. Die das lauwarme Wasser im Pappbecher so freudestrahlend entgegennehmen, als hätte man ihnen einen eisgekühlten Cocktail gereicht. Die aus den wenigen Sekunden dauernden Gesprächen "ich kann / mag nicht mehr"- "klar kannst du! wir sehen uns noch 2x bis zum Zieleinlauf!" weitere Kraft schöpfen und ihren inneren Schweinehund zum Schweigen bringen. Diejenigen, die sich bis zur letzten Sekunde wirklich über die Strecke quälen. Die Athleten, die dankbar sind für Verpflegung und aufmunternde Worte, manchmal auch für ein paar Minuten stehen bleiben, in Ruhe essen und trinken, sich unterhalten und dann physisch und psychisch gestärkt weiterlaufen. Die gerade zu späterer Stunde oft auf vielen Passagen mutterseelenallein vor sich hin strampeln und traben und - den Besenwagen im Nacken hängend- einen inneren Kampf mit ihrem Schweinehund ausfechten, während sich das erste Drittel des Starterfeldes schon gebührend im Ziel feiern lässt. Und auch diejenigen, die sich ohne diesen Support der vielen, helfenden Händen einfach irgendwo am Streckenrand hinsetzen und nie wieder aufstehen würden.
Ich will ehrlich sein. So ein Einsatz kann durchaus anstrengend werden. 11 Stunden in der prallen Sonne, einmal von oben bis unten in ISO, Cola und Wasser gebadet, klebrig und mit leise anklopfenden Schmerzen in Rücken und Beinen klingen nicht nach der Stellenbeschreibung des schönsten Jobs der Welt. Und dennoch bin ich nach jedem einzelnen Einsatz so vollgetankt mit guter Energie aus lustigen und netten Begegnungen, tollen Gesprächen und dem Gefühl, eine wirklich gute Tat vollbracht zu haben, dass ich mir eine Saisonplanung ohne einen Helfereinsatz mittlerweile nicht mehr vorstellen kann.
Sicherlich bin ich nicht die einzige, der das so geht. Ich würde mich riesig freuen, auch eure Geschichten zu lesen! Wo wart ihr schon im Einsatz als Helfer? Wie ist es euch ergangen? Was habt ihr alles erlebt? Schreibt es gern in die Kommentare!