Wenn es um das Thema Verletzungen oder Beschwerden beim Schwimmen geht, dann stehen an erster Stelle in der Regel Schulterschmerzen. Mit der richtigen Kraultechnik lassen sich diese vermeiden - und dabei geht es sogar nur um eine Kleinigkeit, die aber große Auswirkungen hat: den Arm in der Unterwasserphase nicht durchgestreckt, sondern mit einem Winkel von ca. 100° unter dem Körper durchzuführen.
Ich möchte das Thema von der rein physikalischen Seite beleuchten, da es ein einfaches Rechenexempel ist. Wenn du allerdings beim Stichwort "Physik" schon drei Kreuze machst, dann überflieg den Hauptteil und lies den Praxisvergleich am Ende. Als Randbedingung gehe ich von mir aus, das ergibt folgende Werte:
- Schwimmgeschwindigkeit GA1 = 1:30 Min / 100 Meter
- Handfläche (Idealisiert als Ellipsen-Fläche = ? · a · b) = 0,01 m²
- Armlänge = 0,6 Meter
Je länger die Arme, umso größer die Belastung auf die Schulter?
Das stimmt, allerdings ist der Faktor zwischen ausgestreckt und um 100° angewinkelt identisch. Bei großen Menschen sind die Gelenke auch größer und somit stabiler. Für die Berechnung betrachten wir nur eine Seite, da jede Handfläche auf eine Schulter wirkt und dies rechts und links gleichmäßig geschieht. Zunächst wird berechnet, wie viel Kraft die Handfläche bei einem Zug auf das Wasser ausüben muss, um den Körper im gewünschten Tempo vorwärts zu bringen.
F = 0,5 · cw · ? · A · v²
Dabei ist cw der Widerstandswert, den die umströmte Handfläche hat, hier als senkrecht angeströmte Fläche cw = 0,35. ? ist die Dichte des Wassers, die bekanntlich 1000 kg/m³ beträgt. A ist die Fläche meiner Hand, die wie oben beschrieben 0,01 m² hat. Aus meiner Schwimmgeschwindigkeit ergibt sich v = 1,11 m/s. Eingesetzt in die obige Formel drücke ich bei jedem Zug mit der Handfläche 9,0 N gegen das Wasser.
Die Fläche des Unterarms übt durch ihre strömungsgünstige Form nur geringen Druck auf das Wasser aus. Der Widerstandswert eines umströmten Zylinders beträgt 0,35, woraus sich eine Kraft von 3,2 N ergibt. Hand und Unterarm drücken also in Summe mit 12,2 N auf das Wasser. Daraus errechnet sich ein Moment, das auf der Schulter lastet, mit der Formel
M = r · F
Dabei ist r die Länge des Hebels, also meine Armlänge. Diese beträgt im ausgestreckten Zustand 0,6 Meter. Bei 100° Anwinkeln berechnet sich die direkte Entfernung von Hand zur Schulter nach dem Cosinus-Satz
c= ?(a ²+ b² - 2ab · cos ?)
Sie beträgt nur noch 0,46 Meter.
Unterwasserphase Ausgestreckt ergibt sich somit eine Belastung auf der Schulter von 7,3 Nm, beim Anwinkeln des Arms um 100° nur 5,6 Nm.
Von der Theorie nun in die Praxis
Um diese Werte nun etwas besser zu veranschaulichen, hältst du mit dem ausgestreckten Arm eine volle 0,75l-Glasflasche (1,2 kg) waagerecht von dir. Das sind 7,3 Nm. 5,6 Nm entsprechen 300 g weniger, also 30% weniger Kraft, die auf deine Schulter wirken, bei gleicher Vortriebskraft und bei jedem einzelnen Zug.
Die Belastung auf die Schulter wirkt nur in der Zug- und Druckphase. In der Rückholphase erholt sich deine Schulter.
Je mehr Züge du pro Bahn benötigst, umso öfter wird deine Schulter belastet.
Hebe und senke die Glasflasche mehrfach hintereinander, ohne sie abzusetzen. Bei 16 Zügen auf 25 Meter müsstest du 256 Wiederholungen machen, um vergleichsweise auf 400 Meter Kraul zu kommen. Ich denke, es würde jeder freiwillig vorher einen sehr großen Schluck aus der Flasche trinken bzw. den Arm anwinkeln. Da in der ersten Formel die Geschwindigkeit im Quadrat eingeht, ist ersichtlich, dass mit höherer Geschwindigkeit die Belastung auf die Schulter deutlich zunimmt. Schon bei 1:20 Min / 100 Meter beträgt die Belastung auf die Schulter bei ausgestrecktem Arm 9,3 Nm statt 7,3 Nm bei 1:30 Min / 100 Meter! Das ist eine Differenz von 400g.
Wer auf 50 Meter Sprint 30 Sekunden benötigt, belastet seine Schulter bei jedem Zug mit durchgestrecktem Arm mit 2,8 kg - das entspricht nahezu einem Sixpack 0,5l-Wasserflaschen.
Beim Anwinkeln um 100° wären es nur vier 0,5l-Flaschen. Durch diese kleine Änderung an der Kraultechnik kann man seiner Schulter schon sehr viel Gutes tun. Natürlich gibt es weitere Faktoren, die teils auch athletenabhängig sind, aber mit dem Anwinkeln des Arms ist der größte Faktor für Schulterschmerzen beseitigt.