Ein ganz normaler Abend im TIME2TRI Headquarter: es wird gearbeitet, nebenbei philosophiert man über die Triathlonwelt, aktuelle Entwicklungen und die der Vergangenheit.
Und dann – ohne zu wissen, wie es dazu kam – steht auf einmal die Frage im Raum: "Sag mal, was macht eigentlich Faris Al-Sultan?"
Genau diese Frage haben wir Faris sogleich gestellt - und mit ihm ein spannendes Interview geführt. Über das Leben nach der Profi-Zeit, die bevorstehende IRONMAN World Championship auf Hawaii und darüber, weshalb er anstelle von Snickers nun öfter in einen BIO-Schokoriegel beißt.
TIME2TRI: Sag mal Faris - was sagst du eigentlich zu der Idee von TIME2TRI und der Möglichkeit, das Triathlon-Training online zu verwalten?
Faris: Da sieht man mal, was die Leute für Bedürfnisse haben! Ich selbst führe seit 1995 mein Trainingstagebuch handschriftlich - zu meinen Zeiten gab es derartige technische Möglichkeiten ja noch gar nicht. Meine drei Athleten betreue ich aktuell per WhatsApp.
Natürlich kannst du mit computergestützten Methoden viel mehr Details auslesen und dir sehr viel schneller einen Überblick verschaffen als wenn du es handschriftlich machst. Gerade auch wenn man Zusammenhänge herstellen möchte, ist das bequem und angenehm.
Die Bedürfnislage der Leute ist hier sehr unterschiedlich - viele wollen heutzutage mit der Zeit gehen - ich selbst habe jedoch das Bedürfnis nie verspürt, es anders zu machen als handschriftlich.
TIME2TRI: Du betreust deine Athleten also tatsächlich nur per WhatsApp?
Faris: Korrekt. Letztenendes schicke ich per WhatsApp ein Kommando und sage den Athleten, was sie heute trainieren sollen – und der Athlet gibt mir wiederum Feedback, ob er die Trainingseinheit ausgeführt hat – oder eben nicht. Meine Betreuung ist sehr individuell – aber ich verwalte auch keine 35 Athleten sondern nur drei.
Mit mehr Athleten könnte ich definitiv nicht mehr so arbeiten wie ich es heute tue – das ist etwas ganz anderes. Wenn ich Trainingspläne machen würde für 35 Agegrouper, müsste man das ganz anders organisieren - dann käme ich mit meiner aktuellen Methode nicht mehr hinterher, das muss man auch ganz klar so sagen.
TIME2TRI: Was sind die Schwerpunkte in deinem Trainingsvorgehen?
Faris: Am Anfang der Saison und des Trainings legst du dir Theorien zurecht, was und wie es gemacht werden soll. Was muss betont werden, was muss zu welchem Zeitpunkt passen und wo sind die Stärken und Schwächen des Athleten?
Was muss konkret getan werden? Wenn dieser Rahmen steht, bauen die einzelnen Trainingseinheiten nur noch darauf auf. Wenn du die grundlegende Strategie erst einmal festgelegt hast, bist du generell sehr begrenzt darin, was du einen Athleten auf einem so hohen Niveau, wie z.B. Patrick Lange es hat, überhaupt machen lassen kannst.
Ein wichtiger Faktor ist dabei auch die "Rübe" von den Leuten - das ist das A und O, da spielt sich viel ab. Es ist elementar, dass die Leute mentale Zuversicht haben, um gut zu trainieren, sich geistig wohl zu fühlen und auch, um gute Wettkämpfe zu bestreiten.
TIME2TRI: Wenn du von einer "fitten Rübe" sprichst - arbeitest du in deiner Trainingsbetreuung auch mit Mentalcoaches zusammen?
Faris: Nein – ich bin kein großer Freund von so etwas. Es gibt sicher einige Athleten, die darauf schwören – z.B. habe ich Britta Steffens kennengelernt, die viel mit einer Psychologin zusammengearbeitet und damit große Erfolge gefeiert hat. Ich bin aber eher der Typ der sagt "wenn du einen Psychodoktor für deine Rübe brauchst dann hast du im Leistungssport nichts verloren".
Die Basis für einen Profi-Triathleten ist, dass er auf Wettkämpfe geht, schneller werden will als andere und mental fokussiert ist. Ist er das nicht, stellt sich für mich die Frage: Was macht dieser Athlet im Profi-Geschäft und tut er sich in diesem Umfeld einen Gefallen?
In meine Betreuung ist daher kein Sportpsychologe involviert – ich habe aber bereits festgestellt, dass ich als Coach oft automatisch auch für die mentale Aufbauarbeit zuständig bin.
"Es ist ein riesiger Vorteil, wenn dein Trainer schon überall dort war, wo du hinmöchtest!"
TIME2TRI: Du bringst bei deinem Training sicher viel Erfahrung aus deiner eigenen Profizeit mit ein - gibt es da Dinge, die deine Athleten besser oder anders machen sollen als du seinerzeit?
Faris: Es ist ein riesiger Vorteil, wenn du einen Trainer hast, der schon überall da war, wo du hinwillst. Ich kenne das alles schon. Ich kenne sowohl die nicht-sportliche Komponente - die Business-Seite, den medizinischen Part und natürlich auch alles, was mit dem Training zu tun hat. Ich habe selbst auch während meiner Profi-Zeit so viele Fehler gemacht, dass ich die Dinge anders einschätzen und meinen Athleten auch sagen kann, wenn etwas vielleicht auch mal keine so gute Idee ist.
Zum Beispiel habe ich viel zu oft nach "Schema F" trainiert – sprich: das gemacht, was du halt immer machst. Ich habe auch das Thema Geschwindigkeit vernachlässigt – daher bin ich am Ende dann auch relativ langsam geworden, vor allem auch auf den Unterdistanzen. Ich war dann aber auch nicht mehr bereit, das Training nochmal umzustellen und konsequent andere Sachen zu trainieren.
Dabei ist gerade das Thema Geschwindigkeit etwas, das unersetzbar ist, vor allem wenn du älter wirst. Ein gewisses Geschwindigkeitsniveau auf den Unterdistanzen ist wichtig, um es dann auf die Langdistanz zu übertragen. Natürlich haben sich in den letzten Jahren auch einige Sachen geändert - nicht dramatisch viel aber doch ein wenig - das muss man natürlich auch mit einbeziehen.
TIME2TRI: Dein Athlet Patrick Lange startet bald auf Hawaii - worauf hast du bei seiner Vorbereitung konkret geachtet?
Faris: Um ehrlich zu sein: von den großen Plänen, die wir für dieses Jahr hatten, gingen nicht so viele. Patrick war im Frühjahr lange verletzt - wir haben dann versucht, irgendwie wieder in das Training einzusteigen und fit zu werden für den IRONMAN Frankfurt.
Danach braucht jeder Athlet erstmal Ruhe um zu regenerieren, direkt im Anschluss kam für ihn schon das Höhentraining - das hat gut angeschlagen. Jetzt macht er eine ganz klassische "0815 San Diego-Schema Hawaii-Vorbereitung", die ich selber auch schon trainiert habe.
Im Moment können wir einfach auch nichts besseres oder aufregenderes trainieren, weil Patrick dafür aktuell auch nicht den Unterbau mitbringt und Hawaii schon vor der Tür steht.
"Die Tage an denen du richtig draufhauen kannst und sagst: "heut passt's!" - davon hast du nicht so viele"
TIME2TRI: Kein "last minute" Notfall-Plan?
Faris: Wenn man sich ein Trainingsjahr anschaut, weiß man: sobald die Saison losgeht, bist du begrenzt in dem, was du machen kannst. Sobald die Wettkämpfe starten, bist du schon so in der Fahrt drin dass du keine großen Akzente mehr setzen kannst sondern das verwaltest, was du im Frühjahr aufgebaut hast.
Am Beispiel von Patrick bedeutet das, wenn man sich das im Kalender anschaut: er startet beim IRONMAN - danach regeneriert er erst einmal eine Woche lang. Dann trainierst du zwei Wochen lang ein bisschen was, bis die Muskulatur wieder zusammengewachsen ist und alles wieder passt. Im Anschluss fährst du in die Höhe und weißt: du kannst keine 40 Stunden trainieren sondern vielleicht 25-28 Stunden.
In der Zeit machst du deine Basis-Arbeit beim Schwimmen, Radfahren und Laufen - unabhängig von besonderen Intensitäten oder Reizen. Dann kommen deine Vorbereitungs-Wettkämpfe – vor denen musst du bereits wieder Intensität rausnehmen, sonst kannst du am Wettkampftag nicht 100% geben. Nach den Wettkämpfen kommt dann wieder Erholung. Die Tage an denen du richtig draufhauen kannst und sagst: "heut passt's!" - davon hast du nicht so viele.
TIME2TRI: Nimmst du denn selbst auch noch "just for fun" an Wettkämpfen teil?
Faris: Die wenigsten Ex-Profis können so einfach von ihrem Sport wegmarschieren. Es gibt Leute, die machen den Sport, weil sie es gelernt haben und gut können. Und es gibt Leute die sind dazu geboren - und so einer bin ich. Ich wäre auch geschwommen, geradelt und gelaufen, wenn es Triathlon nicht gegeben hätte.
Ich mache sogar sehr gerne noch Wettkämpfe, weil schwimmen, radfahren und laufen einfach zu meinem Leben gehört. Ich brauche auch heute noch immer ein Ziel, auf das ich hintrainieren kann - da geht es mir wie vielen anderen Menschen auch.
Aber ich habe seit meinem Ausstieg keine Triathlonwettkämpfe mehr bestritten. Wenn, dann starte ich nur in einer Staffel - die Disziplin ist mir dabei meistens egal, weil ich ja alles noch trainiere - aber eben einfach nicht mehr alle Disziplinen nacheinander. Ich habe auch ein paar Swim&Runs mitgemacht, dieses Jahr war ich zum Beispiel in Grado und habe am Aquaticrunner teilgenommen.
Wir wollten dieses Jahr auch die Rennrad-Transalp von der Tour fahren, mussten aber leider wegen des bescheidenen Wetters abbrechen.
TIME2TRI: Was würdest du heute jemandem, der Triathlonprofi werden möchte, raten?
Faris: Die Leute glauben immer, man wird von heute auf morgen Profi - dabei ist das ein schleichender Prozess über mehrere Jahre. Du trainierst, du gewinnst vielleicht mal einen Wettkampf, bekommst vielleicht auch mal ein Preisgeld, startest für ein Bundesligateam oder einen Verein, der Verein zahlt dir irgendwann für den Bundesligastart Geld, du bekommst deine erste Ausrüstung gestellt oder erhältst Prämien von den Sponsoren – und irgendwann bekommst du Geld - und davon dann irgendwann mehr.
Ich kann jedem nur raten, nebenbei ein Studium oder eine Ausbildung weiterzumachen. Ich habe schon Mails von 16jährigen bekommen, die die Schule schmeißen wollen, um Triathlonprofi zu werden. So etwas lehne ich klar ab. Ich glaube auch nicht, dass man an einer Sportschule sein muss, um etwas reißen zu können. Man muss sich Zeit geben, um sich zu entwickeln.
Und dann wenn man zum Beispiel 19 ist und sein Abi fertig hat – oder auch wenn man sein Studium beendet hat – kann man sagen: "ich mach jetzt mal 2 Jahre nur Triathlon!" – aber dann muss klar sein: wenn es nicht für ganz oben reicht, muss man es auch wieder bleiben lassen und zurück in den Amateursport gehen und seine Brötchen anderweitig verdienen.
TIME2TRI: Wie wichtig ist das Schwimmen im Triathlon?
Faris: Schwimmen ist ein Killer-Kriterium: man muss schwimmen können, sonst wird es schwierig.
TIME2TRI: Es gibt aber auch Beispiele wie Sebastian Kienle, der bei der IRONMAN 70.3 WM in Chattanooga als 30. Mann aus dem Wasser gestiegen und dann mit dem Rad bis auf Platz 2 geballert ist...
Faris: Sebi fährt extrem gut Rad und hat definitiv ein gewisses Niveau beim Schwimmen. Klar verzweifelt er oft genug an der Schwimmerei – denn wenn er ein bisschen besser schwimmen könnte, würde er auch noch mehr gewinnen. Bei anderen Athleten wird das noch deutlicher. Denn wenn du keinen Kienle-Hammer im Bein hast, dann schaut es einfach schlecht aus, wenn du mit zu viel Rückstand aus dem Wasser kommst.
Das wird man auch auf Hawaii sehen - einige Profis, die später aus dem Wasser kommen, werden da nicht viel reißen. Sebi hat Hawaii zwar auch gewonnen aber er ist exzellent Rad gefahren und sein Laufen ist mittlerweile auf Weltklasse-Niveau - der kann sich diese kleine Schwimmschwäche dann eben noch leisten.
TIME2TRI: Wie ist deine persönliche Prognose für Hawaii?
Faris: Die üblichen Verdächtigen. Die drei vom letztjährigen Podium sind dieses Jahr auch gut drauf und haben im Vorfeld gute Ergebnisse gezeigt. Aber auch andere Athleten sind spannend. Sanders ist für mich eine kleine Wundertüte - er redet immer viel und er macht auch sicher viele und gute Rennen.
Er postet gern auch mal Wattzahlen, bei denen man sagen muss: wenn er das was er postet tatsächlich so kann, dann wird es auf Hawaii spannend. Dann gibt es noch die Amerikaner wie Tim O'Donnell und Andy Potts - kann gut sein, dass die auch was reißen können. Die zwei sind jetzt zwar auch mehr oder weniger am Ende der Karriere angekommen aber haben Potential. Ebenfalls interessant sind Ben Hoffman und Frederik van Lierde.
Eines ist für mich aber klar: einen Frodo in Topform schlägt keiner. Wenn er 100% Leistung bringen kann, dann siegt er auch. Aber sobald er nicht 100% abrufen kann, kleben ihm Sebi, Patrick und van Lierde an den Hacken - da könnte schon was gehen.
TIME2TRI: ...und dann gibt es da ja noch dein neues Abenteuer...?
Faris: Genau! Ich habe ein neues Abenteuer - nicht sportlich aber dafür was Neues. Mein Freund und ebenfalls Ex-Profi Swen Sundberg kam auf die Idee, Amerika mit den BIO-Riegeln RAW-Bites aus Dänemark zu beglücken. Er hat mit diesem Projekt ein neues Ventil gefunden, wo er mit voller Leidenschaft und vollen Emotionen reingehen kann.
Er geht in dieser neuen Aufgabe komplett auf - sowas schaffst du nicht, wenn du nur irgendeinen Job machst, der dich ernährt, aber nicht erfüllt. Swen hat mit unserem Projekt genau das gefunden. Wir sind daher seit kurzem Partner von RAW-Bite und vertreiben die Riegel in den USA. Das ist unser großes Business-Abenteuer, unser eigenes Startup und da stecken wir mittendrin.
Die Kombination Faris Al Sultan und BIO-Riegel ist zwar erstmal komisch aber die Riegel sind definitiv ein tolles Produkt und schmecken richtig gut! Bei Sorten wie Raw Kakao erwartet man vielleicht erstmal was schokoladigeres - ich denke bei Schokolade auch immer erstmal an Snickers (lacht) - aber ich esse die Riegel gern und sie verkaufen sich auch schon gut.
TIME2TRI: Gibt es etwas, was du an deinem alten Leben vermisst oder ist alles gut so, wie es gekommen ist?
Faris: Es ist definitiv gut so, wie es gekommen ist und man muss die Zeichen der Zeit erkennen, wann es vorbei ist - für jeden von uns ist es irgendwann vorbei. Für mich war klar: ich will einen rühmlichen Abgang haben anstatt mich durchzuschleppen und irgendwann mit Platz 38 ins Ziel zu kommen.
Vermissen tue ich die absolute Fitness – du merkst schon sehr deutlich, wenn du weniger trainierst. Am krassesten ist es beim Laufen und im Wasser - wenn du dich mit letzter Kraft durchs Wasser schleppst und denkst: "das ging früher aber mal anders!" Und so, wie es mal war, wird es nie wieder sein.
Das war 20 Jahre lang mein Leben. Ich war Profi, wir waren die meiste Zeit mit Freunden und Bekannten beisammen und habe den ganzen Tag mit ihnen trainiert. Das war schon cool. Das einzige, was zählt, bist du selbst - deine Leistung und der nächste Wettkampf. Manch einer mag sagen: "das ist aber ein einfaches Leben!" - aber ich fand es schön und es hat mir große Freude gemacht.
Toll waren auch die vielen Reisen (auch wenn sie mir am Ende ehrlicherweise etwas zum Hals raus hingen). Zum Beispiel in Tucson den Mount Lemmon hochzufahren - das hat mir schon gut gefallen! Was mir definitiv nicht gefallen hat: schlechtes Wetter und Kälte bei vielen Wettkämpfen.
Da bin ich dann heute schon froh und denke mir: "Gott sei Dank muss ich das nicht mehr machen!"
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